Mai 2023
Es ist der dritte Frühling, der nicht so ist, wie er sein soll. Nach zwei Coronajahren trübt der nahe Krieg die Stimmung. Auch das Wetter lässt zu wünschen übrig. Der Frühling selbst ist jedoch durch nichts aufhalten, nach den dringend nötigen Regenfällen zeigt sich die Welt in voller Blüte und frischem Grün. Auch an den Rebstöcken sprießen die Triebe, für die Winzerinnen und Winzer eine wichtige Zeit im Jahr.
Im Vergleich zu vielen anderen Pflanzen und Bäumen treiben die Reben verhältnismäßig spät aus, je nach Sorte und Witterung zwischen Mitte April und Anfang Mai. Den bevorstehenden Austrieb der Reben kann man einige Tage zuvor erkennen, dann wenn an den Schnittstellen der angeschnittenen Triebe Wassertropfen austreten. Dieses „Weinen” oder „Bluten” der Rebe signalisiert das Ende der Winterruhe und den Beginn des Safteinschusses. Die Knospen beginnen zu schwellen, bis die holzigen Knospenschuppen aufbrechen und ein filzigkugeliges Haargeflecht sichtbar wird. Darunter liegt gut geschützt die Triebspitze. Mit steigendem Saftdruck schwillt das filzige Geflecht immer mehr an, bis die grünen Triebe durchbrechen, nach und nach in die Länge wachsen und sich schließlich zu kleinen Blättern entfalten. Bis zu dieser Phase ernährt sich die Rebe von den Kohlenhydrat-Vorräten, die sie im Herbst angelegt hat. Sobald die Blätter entwickelt sind, erfolgt die Zuckerversorgung und Ernährung über Photosynthese.
Für den Austrieb ist eine Tagesdurchschnittstemperatur von 8 bis 10 Grad Celsius über mehrere Wochen hinweg von entscheidender Bedeutung. In sehr warmen Jahren kann dies klimawandelbedingt schon im Februar der Fall sein. Dann passiert der Austrieb um Wochen zu früh. Die jungen grünen Triebe mit zarter Struktur und viel Wasser im Gewebe sind nämlich auch bei leichteren Spätfrösten gefährdet, die in Saft stehenden Rebstöcke bei stärkeren. 2023 hingegen ist ein Jahr wie früher: Erst Anfang Mai sieht man überall in den Weingärten frisches Grün an den Reben und die sich entfaltenden rötlichgezahnten Blätter. Nun sind sie fast auf der sicheren Seite, Spätfröste sind um diese Jahreszeit selten. Außer, wenn die → Kalte Sopherl mit ihren Kumpanen umgeht, dann ist Gefahr in Verzug. Sie möge sich bitte zurückhalten!
Mit dem Austrieb beginnt auch die erste Laubarbeit: das manuelle Ausbrechen der schwachen Triebe und Reduktion der Triebanzahl pro Stock. Bis dahin waren die Winzerinnen und Winzer mit dem Anbinden beschäftigt: Nach dem Winterschnitt stehen die verbliebenen Strecker am Rebstock stehen und weisen nach oben. Sobald sie mit Saft versorgt und biegsam sind, werden sie nach unten an den Drahrahmen gebogen und befestigt. Somit kann der Saftstrom gleichmäßig verteilt fließen und alle Triebe versorgen. Auch das „Stockräumen” fällt an, der Boden unterhalb der Rebstöcke muss geöffnet und gelockert werden. Mit diesem Arbeitsschritt wird der Boden durchlüftet und Beikräuter werden entfernt. Sie verhindern die stetige Bodendurchlüftung, erhöhen die Luftfeuchtigkeit und fördern Pilzinfektionen. Mit entsprechenden Maschinen lässt sich dies gut bewerkstelligen, siehe diesen kurzen Film der „Designwinzerin“. Herbizideinsatz (z.B. Glyphosat) sollte für diesen Zweck und generell Tabu sein, leider sieht man in vielen Gegenden im Frühjahr noch immer braunverbrannte Rebzeilen, die davon zeugen. Gift für Boden, Rebe und alle Lebewesen.
Zwischen den Rebzeilen bleibt es grün, dort werden Gräser, Kräuter, Leguminosen und Blumen eingesät zur Nährstoffversorgung von Boden und Reben, und um die Biodiversität zu fördern. Bis zur Rebblüte dauert es dann noch eine Weile: Sie findet 45 bis 90 Tage nach dem Austrieb statt – also Mitte Mai bis Ende Juni.