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Lachszucht. Ein kritischer Blick in die Fischernetze.


Schon wieder so ein trügerisches Foto. Auch glückliche Lachse in freier Natur sind rar geworden, in der Zucht liegt vieles im Argen. Das einstige Luxusprodukt ist schon lange Massenware, die Produktion ist tierquälerisch und hat umweltschädlichen Auswirkungen. Wer sich für das Thema interessiert, vermeidet angesichts grauslicher Fakten den Verzehr.

September 2023




Schon lange liegt mir der Lachs im Magen. Lieblingsfisch vieler, kaum ein Restaurant, in dem er nicht auf der Speisekarte steht. Auch beim Griechen ums Eck, wo er grundsätzlich nichts verloren hat, weil der Lachs nur in nördlichen Gewässern vorkommt. Ein Massenprodukt meist aus zweifelhafter Quelle, der rosa Farbton künstlich erzeugt. Wenn die Freundin, der Freund ihn begeistert bestellt, verstumme ich, möchte nicht Spielverderberin sein mit dem erhobenen Zeigefinger. Und doch!

Die österreichische Tageszeitung Der Standard hat mir unlängst mit einer Reportage von Verena Kainrath in die Hände gespielt: „Wie die Lachslaus zum Schrecken der Fischindustrie wurde." Mit ihr ist alles auf dem Tisch. Ich erlaube mir deshalb, den Artikel hier einzustellen. Weitere Infos unter anderem im WWF-Fischratgeber.

Wie die Lachslaus zum Schrecken der Fischindustrie wurde. Der Parasit bedroht Zuchtlachse und ihre wilden Artgenossen. Über wachsenden Fischkonsum und Massentierhaltung unter Wasser.

Sie ist deutlich kleiner als ein Fingernagel und der größte Feind der norwegischen Fischindustrie. Sie beißt sich an Lachsen und Meerforellen fest, ernährt sich von Sekret, Haut und Blut ihrer Opfer. Immer tiefer frisst sich das winzige Krustentier in die unfreiwilligen Wirte, setzt sie neben schweren Verletzungen massivem Stress aus und macht sie anfällig für Krankheiten.

Kein Parasit hält Betreiber von Aquakulturen mehr in Atem als die Lachslaus. Kostet sie doch jährlich hunderte Millionen Euro, die in den Kampf gegen ihre explosionsartige Vermehrung in Fischfarmen fließen.

Noch stärker als Zuchtlachse, für deren Gedeih die Industrie dem Krebs mit immer ausgefeilteren Chemikalien und Technologien zu Leibe rückt, bedroht die Laus den Bestand der Wildlachse. Deren Migrationsrouten führen an Millionen in Netzkäfigen gemästeten Artgenossen vorbei. Vor allem Smolte werden für sie zu einem gefundenen Fressen. Diese jungen Lachse, die flussabwärts über Fjorde ins offene Meer ziehen, haben der widernatürlich hohen Konzentration an Parasiten in den riesigen Zuchtanlagen wenig entgegenzusetzen. Der Bestand an wildlebenden Altlantiklachsen, die auf ihren Wanderungen vom Süßwasser ins Salzwasser und retour in die Oberläufe der Flüsse tausende Kilometer zurücklegen, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch dezimiert.

Welt der Massentierhaltung. Einer der Schauplätze des Kräftemessens zwischen Krebs, Fisch und Mensch liegt hoch oben im Norden Norwegens. Von Bodø in Norwegen über Helnessund, ein Fischerdörfchen mit ein paar Dutzend Einwohnern, geht es die Fjorde hinauf an einen Pier, von dort acht Seemeilen hinaus übers Meer, bis sich die Inselgruppe der Lofoten am Horizont abzeichnet.

Ein Delphin springt aus der vom Wind gekräuselten See. Imposante Berge erheben sich an den weglosen Küsten des mehr als 600 Meter tiefen Fjords. Über schroffen Landzungen türmen sich Regenwolken auf. Es ist eine wilde Idylle, die auch die Aquakultur des Lachszüchters Cermaq mit neun schwimmenden, am Meeresboden verankerten Käfigen nicht trübt. Zumindest über Wasser. Der Blick unter Wasser über Kameras zeigt die wenig malerische Welt der Massentierhaltung: In den von Futter und Kot versetzten Becken drehen Fische, Flosse an Flosse, die ewig gleichen Kreise.

35 Meter tief sind die von Netzen eingefassten Anlagen, 160 Meter misst ihr Umfang. Pro Kubikmeter Wasser lässt Norwegen 25 Kilo an Lachs zu. Biolachs erhält doppelt so viel Platz.

Effizienter Futterverwerter. Jedes Bassin fasst 200.000 Lachse, die hier von 100 Gramm auf ein Schlachtgewicht von fünf Kilo heranwachsen. 14 bis 22 Monate verbringen sie in Meeresgehegen. Danach werden sie zu fünf Millionen Fischportionen.

Es riecht nach Fischfutter, das ein Schlauch von acht bis 16 Uhr kreisförmig übers Wasser sprüht, 60 Tonnen täglich. 1,2 Kilo Futter machen ein Kilo Fisch. Kaum ein Tier, das der Mensch mästet, gilt als effizienterer Futterverwerter und steckt mehr Energie in sein Muskelwachstum als der Lachs.

Martine Evjen lässt keinen Zweifel daran, dass in der Produktion nichts dem Zufall überlassen wird. Sieben Tage die Woche überwacht sie die Anlage rund um die Uhr an Ort und Stelle über und unter Wasser. ,Unsere Lachse sollen sich wohlfühlen’, sagt sie und blickt fast liebevoll über die weite Aquakultur.

Tote Fische würden täglich entfernt, etwaige Ausbruchsversuche der Lachse aus den Käfigen verhindert. Die Wasserqualität an dem Standort sei nachweislich gut, was regelmäßige Kontrollen der norwegischen Environment Agency bestätigten. Wöchentlich messe man anhand von 200 Tieren die Zahl an Läusen. Finden sich trotz physischer Barriere an den Netzen im Schnitt mehr als 2,15 Krebse pro Fisch, nimmt die Behandlung ihren Lauf.

Gegen Medikamente wurden die Parasiten vielfach resistent. Die Industrie übt sich daher in vorbeugenden Maßnahmen wie Putzerfischen. Diese knabbern die Läuse von den Fischen, sterben dabei jedoch selbst in Scharen. 50 Millionen Lippfische und Seehasen verenden jährlich in Norwegens Netzgehegen, rechnen Veterinäre norwegischer Behörden vor.

Hightech wie Laser, mit denen die Krustentiere von den Lachsen geschossen werden, ist teuer. Das Gros der Fische wird abgespült, gebürstet oder durch heißes Wasser gepumpt. Es sind Methoden, die vielen von ihnen das Leben kostet. 2022 gingen in Norwegen 92 Millionen Zuchtlachse infolge der Haltungsbedingungen in menschlicher Obhut zugrunde.

Läuse zählen. Der Weg, um die Laus in den Griff zu bekommen, sei lang, räumt Karl Ottem ein. Der Wissenschafter, der die Fischgesundheit bei Cermaq managt, skizziert am Ufer des Fjords in einem futuristisch anmutenden Besuchercenter, das Einblick in die Welt der Zuchtlachse gibt, die Anstrengung seines Konzerns, ihr Wohl zu verbessern. So sei, wie er betont, die Mortalitätsrate der Fische bei Cermaq Nordland von acht auf fünf Prozent gesunken.

Dazu beigetragen hätten höhere Auflagen durch das freiwillige Zertifikat ASC. Mit dem Siegel sollen ökologische und soziale Standards in der Fischmast verbessert werden.

Ulrich Pulg zeichnet ein düstereres Bild der norwegischen Fischindustrie. Der Biologe arbeitet für das unabhängige Forschungsinstitut Norce in Bergen. Er beziffert den Anteil der Lachse, die ihre Aufzucht nicht überleben mit Verweis auf Daten des Veterinärinstituts mit 16 bis 20 Prozent. Darin noch nicht abgebildet sei der Niedergang der Wildfische. Anders als Ottem, der Einflussfaktoren wie Klimawandel und Überfischung überwiegen sieht, bezeichnen Pulg und das wissenschaftlichen Komitee der Wildfischverwaltung die industrielle Fischzucht als die größte Bedrohung für freilebende Populationen.

Wildlachse in der Bredouille. 1,3 Millionen Wildlachse zählte Norwegen vor 25 Jahren. Mittlerweile seien es nur noch 400.000. Zugleich wachsen in Aquakulturen des Landes mehr als 400 Millionen Zuchtlachse heran. Bis 2050 will Norwegen das Geschäft damit verfünffachen. Schon jetzt ist das Land mit 1,4 Millionen Tonnen Lachs der weltgrößte Exporteur des Zuchtfisches. Nach Öl ist der Edelfisch der wichtigste Industriezweig des Landes. An der dünn besiedelten Küste sorgt er für bis zu 100.000 Arbeitsplätze.

Kaum ein Speisefisch weltweit ist begehrter als Lachs. Einfach grätenlos zuzubereiten, bekömmlich und stets verfügbar, avancierte er von einer Delikatesse zum Alltagsprodukt. Als Topping für Sushi gewann er, stark forciert von Norwegen, auch in Japan an Gewicht. In Österreich wie in Deutschland führt er die Liste der meistgegessenen Fische an.

Verkaufsargument ist der hohe Anteil an Omega-3-Fettsäuren. Dass Lachs damit gezielt über das Futter angereichert werden muss, da er in der Zucht zusehends pflanzlich ernährt wird, tat dem Boom keinen Abbruch.

Naturgegeben ist auch die rosa Farbe nicht, da Krabben auf seinem Speiseplan fehlen. Um sein graues Fleisch ansehnlicher zu machen, erhält Zuchtlachs, auf Basis eines Farbfächers, das Karotinoid Astaxanthin zu fressen.

Von Lachsen, die auf Tellern landen, sind nur wenige im offenen Meer geschwommen. Der wachsende Appetit auf sie wird primär aus Zuchtanlagen gedeckt. Kein Sektor in der Lebensmittelindustrie wächst schneller – mit vielerorts fatalen ökologischen Folgen.

Läuse, Krankheiten, entflohene Lachse. Jedes Jahr entkommen in Norwegen, Pulg zufolge, mehr als 100.000 Zuchtlachse, deren Erbgut sich mit dem ihrer wilden Artgenossen vermischt. Das reduziert die Überlebenschancen freilebender Lachse ebenso wie Infektionen, die sich von Käfigen unter vorbeiziehenden Schwärmen ausbreiten.

Medikamente, Futterreste wie Exkremente verschmutzen die Meeresböden und bedrohen die Biodiversität. Weitere Ökobomben ticken im Futter. Zwar hat sich der Anteil an Wildfisch darin spürbar reduziert. Aber auch Alternativen wie Gentechsoja aus Übersee – in der Biobranche verboten – sind umstritten.

Es ist ein schlechter Ruf, der dem Lachs vorauseilt. Snorre Jonassen schüttelt darob nur empört den Kopf. Der Chef von Cermaq Nordland arbeitet, seit er 14 ist, in der Fischindustrie. Kein Tier in der Landwirtschaft sei gesünder, versichert er: Impfungen jedes einzelnen Fisches machten Antibiotika nahezu überflüssig.

Cermaq hebt strenges Monitoring der Wasserqualität wie der Biodiversität hervor. Futter werde aus nachhaltigen Quellen bezogen, der Fisch laufend auf Rückstände untersucht. Das krebsverdächtige Ethoxyquin, das Fischmehl konserviert, sei nicht mehr im Einsatz.

Wert der Zertifikate. Als Garant für die Einhaltung ökologischer und sozialer Anforderungen in Aquakulturen sieht Jonassen das Zertifikat ASC, das unter Mitwirkung des WWF gegründet wurde. Es sei das einzige Siegel, das die Verbesserungen durch seine Standards analysiere und transparent mache, sagt ASC-Manager Dennis Wittmann.

Ursula Bittner vergleicht die Lachszucht hingegen mit industrieller Schweinemast, die Tieren wie der Umwelt massiv schade. Norwegen agiere erheblich besser als Chile, zieht die Wirtschaftsexpertin von Greenpeace Österreich Bilanz. Der Haken in der Fischproduktion seien aber schwierige, oft unzuverlässige Kontrollen im Meer. Von diversen Siegeln dürften sich Konsumenten nicht allzu viel erwarten. ,Sie machen viele Lebensmittel grüner, als sie sind, und verführen dazu, zu hohen Konsum an tierischen Produkten nicht zu überdenken.‘ Bittner rät zum Genuss heimischer Fische und empfiehlt vor allem den Pflanzenfresser Karpfen.

Pulg spricht einzelnen Farmen das Bemühen um Nachhaltigkeit nicht ab. Doch das ändere nichts an der viel zu hohen Gesamtbelastung der Küstengewässer durch industrielle Fischzucht. In Summe habe der Befall durch Lachsläuse und die Sterblichkeit in den Zuchten zugenommen. Statt Antibiotika kämen andere, nicht weniger bedenkliche Arzneimittel zum Einsatz. ,Die entscheidenden Probleme wird keines der bisherigen Siegel lösen.‘

Geschlossene Anlagen. Pulg sieht nur zwei Auswege: Entweder der Fischkonsum sinke – oder die Industrie rüste um. Zum Schutz der Wildfische brauche es geschlossene Zuchtanlagen, aus der keine Abwässer, Krankheiten und Parasiten ins Meer gelangten. ,Das gehört zertifiziert. Doch solange die Regierung dies nicht einfordert und Verschmutzung fast kostenlos macht, melkt die Industrie möglichst lange die alte Kuh.'

Cermaq plane aktuell keine derartigen Projekte, auch wenn die Technologie rund um geschlossene Anlagen vielversprechend sei, sagt Jonassen. Er macht kein Hehl daraus, dass seine Branche finanziell auf der Bremse steht.

Grund dafür ist eine neue Steuer von 25 Prozent auf Zuchtlachs. Norwegens Regierung will damit Lachsbarone, die an Fjorden, sprich an den Ressourcen der Allgemeinheit, bestens verdienen, stärker zur Kasse bitten. Seither gehen in der Branche die Wogen hoch. Seine Industrie schaffe Jobs und halte ländliche Regionen zusammen, in die sie das Gros der Gewinne reinvestiere, poltert Jonassen. Anders als Öl und Gas sei Fisch eine ,über die Landesgrenzen hinaus nachwachsende Ressource‘.

An Hightech lassen es die skandinavischen Lachszüchter jedenfalls nicht fehlen. Die weitgehend automatisierte Fertigung bekommen ihre Fische vor allem in den ersten Lebensmonaten und kurz vor dem Tod zu spüren.

Es sind sterile Fabrikshallen, in denen die Lachse ihre ersten neun bis 15 Monate verbringen. Wer in Nordland unter dem Bergsee Forsanvatnet zu ihnen will, muss durch Desinfektionsschleusen. Dreimal jährlich lässt Cermaq Eier in Süßwasser reifen. Einmal geschlüpft, wuseln in Behältern, die an Waschbecken erinnern, in Dunkelheit zwölf Millionen Brütlinge. 50 Tage lang ernähren sie sich von ihrem Dottersack, sagt Kristian Bygdas, der die Aufzucht leitet, während er sie mit einer Pipette ins Licht holt. Der heikelste Moment, erzählt er, untermalt vom leisen Rauschen der Pumpen, sei jener, ab dem sie in größere Pools gesaugt und erstmals gefüttert werden.

Vor einigen Jahren impfte ein Dutzend Helfer jeden einzelnen Jungfisch noch händisch. Mittlerweile besorgt dies eine Maschine. Gut 20.000 schafft sie in einer Stunde.

Auf dem Fließband in Highspeed in einer hochdigitalisierten Produktion enden auch die letzten Stunden der Lachse. 160 Tiere pro Minute werden aus Tanks durch Tunnel gepumpt. Eine Maschine betäubt sie über einen Schlag. Es folgt der Stich. Hart heben sich die Becken, in denen sie ausbluten, vom klinischen Weiß der gleichmäßig ratternden Anlagen ab, ehe die Lachse von Greifarmen gepackt und ausgenommen werden.“ (REPORTAGE: Verena Kainrath aus Helnessund, 17.9.2023)

Infos zum Fischfang generell und welcher Fisch – neben heimischen Süßwasserfischen aus Biozucht – unbedenklich verzehrt werden kann, habe ich letztes Jahr → hier zusammengefasst.

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